Empathie im täglichen Leben

Empathie

ist ein zentraler Begriff im Personzentrierten Ansatz (PCA)

Was ist darunter zu verstehen?
Worauf bezieht sich Empathie?
Wo und wofür ist Empathie hilfreich und nützlich?
Um diese Fragen geht es in diesem Beitrag.

Carl Rogers

(der Begründer der Personzentrierten Psychotherapie) und Marshall Rosenberg (der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation) meinen mit Empathie in erster Linie eine bestimmte Form von Einfühlung in die Welt einer anderen Person. Wenn ich einer anderen Person empathisch begegne, bedeutet das, ich konzentriere mich in allererster Linie auf ihre Gefühle und die Bedeutung dieser Gefühle.

Es geht also nicht so sehr um das Verstehen der Inhalte dessen, was mir erzählt wird, sondern um das Wahrnehmen und Verstehen der Auswirkung und Bedeutung dieser Inhalte auf das Gefühlsleben und Denken der anderen Person.

In einem Wiener Kaffeehaus

Tante Martha und ihre Nichte Anna sitzen im Kaffeehaus. Draußen ist es kalt, regnerisch und windig, innen gemütlich und warm. Um sie herum sind alle Tische besetzt. Der Ober hat soeben den Kaffee gebracht. Ein wenig gedankenverloren rührt Anna in ihrer Tasse. Anna ist 19 und hat soeben begonnen, Soziologie zu studieren.
Erzähl mir, Anna, was macht Dein Studium? fragt ihre Tante freundlich interessiert.
Anna schaut sie an, seufzt tief und sagt: Naja, ich weiß nicht, es ist alles so kompliziert.
Dann schlägt sie die Augen nieder und starrt in die Kaffeetasse. Sie wirkt bedrückt.
Alles so kompliziert? wiederholt die Tante. Es klingt aufmunternd.
Ja, es ist wirklich viel zu tun und ich muss bis übermorgen 50 Seiten aus einem Buch exzerpieren, aber ich muss jeden Absatz fünfmal lesen, weil ich diese Sprache überhaupt nicht versteh. Das schaff ich doch nie bis übermorgen! Ihr Blick wandert hilfesuchend zur Tante.
Aha, sagt Tante Martha, Du hast ziemlich viel Arbeit, mhm?
Ja. lautet der knappe Kommentar. Schon.
Weißt du was ich denke? sagt die Tante.
Mhm? sagt Anna fragend.
Ich denke, sagt Martha, am Anfang ist das Studieren für jeden schwierig und du musst dich einfach ein bisschen mehr anstrengen. Bei mir war das auch nicht anders, damals, vor 30 Jahren.
Ein wenig in Erinnerungen versunken rührt nun die Tante in ihrer Kaffeetasse. Sie sieht sich wieder im Spiegel, wie sie ihren Rock zurecht zupft – und wie sie dann zur allerersten Prüfung wankte – mit schlotternden Knien. Tante Martha hat Pharmazie studiert und mit Auszeichnung abgeschlossen.
Als sie bemerkt, dass die Nichte nur schweigt, sagt sie:
Das wird schon. Weil intelligent bist du ja! Du wirst das schon schaffen!
Anna nickt brav, rührt weiter im Kaffee und fragt dann ihre Tante, wie es ihr denn so geht.

Halt! Halt! Stop! Stop! Was ist denn hier passiert?

Tante Martha wollte nett sein. Empathisch war sie dabei nicht unbedingt. Empathie hat nicht unbedingt etwas mit Nett-sein zu tun. Dieses Gespräch, das vielleicht für ’empathisch’ gehalten werden könnte, ist kein Beispiel für Empathie, so wie sie von Rogers gedacht war. Obwohl die Tante ja vordergründig nett war zu Anna und wahrscheinlich auch nur das Beste für sie will. Doch statt ihr wirklich zuzuhören, begann sie, der Nichte Tipps zu geben. Ratschläge zu geben hat mit Empathie nicht wirklich etwas zu tun.

Doch weil die beiden einander schon lange kennen und sehr mögen, lässt sich Anna von dieser Szene nicht entmutigen – und Martha hat in der Zwischenzeit ein bisschen über ihr Kommunikationsverhalten nachgedacht.

Und so sitzen Anna und Martha einige Wochen später wieder im Kaffeehaus.

Im Kaffeehaus – zweiter Versuch

Erzähl mir, Anna, wie gehts Dir denn jetzt mit dem Studium? fragt Martha.
Anna schaut sie an und seufzt abermals tief und sagt Naja, ich weiß nicht, es ist alles immer noch kompliziert.
Dann schlägt sie die Augen nieder und starrt in die Kaffeetasse. Sie wirkt bedrückt.
Du bist bedrückt? fragt die Tante.
Ja, haucht sie und schaut sie an. Ja, immer noch.
Weil da etwas komplizierter ist als Du vorher gedacht hast?
Ja, sagt Anna, und dann rührt sie wieder im Kaffee, seufzt kurz und beginnt zu erklären: Ja, es ist wirklich viel zu tun. Ich soll jetzt eine erste Arbeit schreiben, und ich weiß wirklich nicht, wie ich das schaffen soll. Ich glaube einfach, dass ich viel zu wenig weiß über den Stoff.
Mhm, sagt Tante Martha, und Du fühlst dich hilflos jetzt?
Naja, hilflos grade nicht, aber irgendwie überfordert, das schon.
Überfordert, weil Du nicht weißt, wie Du das bewältigen sollst?
Anna schaut ihre Tante an und bleibt ab diesem Moment mit ihr in Blickkontakt.
Ja, 15 Seiten soll ich nur schreiben, aber ich kann nicht mal eine schreiben. Ich fühl’ mich wie die ärgste Versagerin, dass ich das nicht einfach so hinkriegen kann … Alle anderen scheinen damit überhaupt kein Problem zu haben. Anna nippt vom Kaffee, und dann sprudeln die Worte plötzlich aus ihr heraus. Sie erzählt vieles, was sie ihrer Tante noch nie erzählt hat. Und während sie spricht und erzählt, sagt sie  mittendrin:
Weißt du, Tante Martha, das ist jetzt komisch.
Was ist komisch?
fragt die Tante.
Ich fühl mich schon besser. Es ist, als würde sich ein innerer Nebel lichten. Ich sehe auf einmal klarer, was mich bedrückt, und es ist jetzt nicht mehr so groß wie vorhin, als ich begann zu erzählen.
Am Ende dieses Kaffeehausgespräches kann Anna schon wieder lächeln. Und dann hat sie auch eine konkrete Idee, wie sie die Sache anpacken kann.

Was ist hier geschehen?

Im ersten Beispiel ist Tante Martha auf die Probleme Annas inhaltlich eingegangen oder zumindest hat sie es versucht. Wirklich zugehört aber hat sie nicht lange, sie bildete sich sehr schnell eine Meinung  und dann gab sie Martha einen Rat.

Merke: Ratschläge sind auch Schläge!
(Das ist immer das erste, was mir zum Thema Ratschläge einfällt, deshalb musste ich es hier los werden.)

Marthas Absichten im ersten Beispiel waren durchaus gute. Sie wollte Anna vielleicht trösten, sie wollte sie sicher ermutigen, den Kopf nicht hängen zu lassen. Vielleicht war auch ihre Absicht, sie ja nicht in ein “Jammertal gehen zu lassen”, also sie davor zu bewahren, noch bedrückter zu werden. Lauter gute Absichten … Aber leider führten sie dazu, dass Anna verstummte und schließlich von sich ablenkte.

Im zweiten Gesprächsbeispiel verhielt sich Martha anders. Wenn Sie sich das genauer ansehen, werden Sie sehen, dass sie auf den Inhalt kaum eingegangen ist. Sie tat etwas anderes: Sie versuchte die Gefühlslage von Anna zu verstehen.

Gefühle zu raten, kann sehr hilfreich sein. Und hilfreich ist es auch, davon auszugehen, dass man sich täuschen kann.

Diese Frage Du fühlst Dich hilflos? ist ein Beispiel dafür. Anna reagiert sofort und sagte Naja, hilflos gerade nicht. und setzt dann fort mit einer Präzisierung: aber irgendwie überfordert.

An dieser Stelle ist es wichtig, dass es Martha nicht darum geht, Recht behalten zu wollen mit den Vermutungen, sondern ausschließlich darum, Anna zu unterstützen, dass sie sich selbst besser verstehen kann.

Der Witz ist – wenn das gelingt, ist auch mir als Zuhörerin in einem Gespräch nie langweilig, ich fühle mich leicht, belebt, lebendig. Die Dinge, die mir erzählt werden, sind immer interessant. Es ist also auch für mich ungeheuer bereichernd und belebend, Menschen empathisch zu begegnen. Und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass mein Gegenüber auch auf mich eher empathisch eingehen kann.

Merke: Empathie ist ansteckend! Und hat garantiert auch noch positive Nebenwirkungen.

Mit diesen Beispielen wollte ich Ihnen eine kurze Einführung geben in das, was in der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg – und eben auch in der Personzentrierten Psychotherapie von Carl Rogers – unter Empathie verstanden wird.

Empathie bezieht sich also nicht auf die Inhalte des Gesagten, sondern auf die Gefühle und Haltungen und – das ist besonders wichtig – auf die Bedeutung des Gesagten.

Warum das wertvoll und wichtig ist, und was mir das bringt, wenn ich selbst meine Gefühle besser verstehe, werde ich zu einem späteren Zeitpunkt beschreiben.